Medizintechnologie – Baustein einer neuen Welt

Medizintechnologie – Baustein einer neuen Welt

Medizintechnologie – Baustein einer neuen Welt 1024 574 Trendsformative

Genau wie die Industrie oder der Finanzsektor hat sich auch die medizinische Versorgung in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert. Wer auf der jüngsten CES beobachtet hat, wie viel Raum Medizintechnologie einnimmt, der gewinnt schnell den Eindruck, dass sich diese Entwicklung weiter beschleunigt. In diesem Artikel blicken wir auf die wichtigsten technologischen Trends und ihr enormes Potenzial.

Technologie rückt in den Mittelpunkt

Verarbeitung, Analyse und Speicherung von Daten sowie Robotik, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und vernetzte Objekte gehören zu den technologischen Durchbrüchen, die in Zukunft zahlreiche medizinische Anwendungen möglich machen könnten. Wie sieht also die medizinische Versorgung von morgen aus? Glaubt man Experten, so wird sie präziser, präventiver, individueller, reaktionsschneller, sowie partizipativ und digital sein. Das explosionsartige Wachstum digitaler Gesundheitstechnologien überrascht daher nicht: Im Jahr 2018 kommt der Markt auf ein geschätztes Volumen von 144 Milliarden Dollar1, bis Ende 20202 soll die Marke von 200 Milliarden Dollar erreicht und überschritten werden. Die Geschichte der Medizin war immer von Brüchen gezeichnet (etwa durch die Entwicklung von Antibiotika Mitte des 20. Jahrhunderts), die aktuelle Phase stellt jedoch zweifellos einen Wendepunkt dar. Der zunehmende Einsatz neuer medizinischer Technologien (Medtech) hat Diagnostik (dank künstlicher Intelligenz), technische Verfahren (Roboterchirurgie) Konsultationen (Telemedizin) revolutioniert. Und es mangelt nicht an Beispielen für Forschungsfelder, die bis vor Kurzem noch ins Reich der Science-Fiction zu gehören schienen, etwa die Injektion von Mikrorobotern in die Blutbahn zur Durchführung gezielter Behandlungen3. François Sigaux, wissenschaftlicher Direktor für Grundlagenforschung bei der französischen Kommission für alternative Energien und Atomenergie (CEA)4 sieht drei Kernbereiche für zukünftige Investitionen in Forschung und Entwicklung. Dank Fortschritten in der Chemiewissenschaft, synthetischer Biologie und Robotik entstehen einerseits multidisziplinäre Ansätze in der Entwicklung medizinischer Geräte für diagnostische oder therapeutische Zwecke bzw. eine Kombination aus beiden. Ein weiteres Feld ist die personalisierte Biotechnologie auf Grundlage von Körperteilen des Patienten. So könnten eines Tages sogenannte Organs-on-Chips (Organchips) entwickelt werden. Zuletzt nennt Sigaux auch digitale Technologie, die zukünftig alle Bereiche der Medizin zusammenführen und so ein selbstlernendes Gesundheitssystem schaffen könnte.

Erste Ergebnisse

Tatsächlich ist die Medizin der Zukunft schon heute Realität und kommt an vielen Stellen zur Anwendung. Zu den beeindruckendsten Fortschritten gehört die Roboterchirurgie, etwa der mit vier Armen und Miniaturzangen ausgerüstete Da Vinci-Roboter.

Für Chirurgen bedeutet der Einsatz von Robotik einen erheblichen Gewinn an Präzision, Visualisierung und Fingerfertigkeit, für Patienten weniger invasive Eingriffe, kleinere Narben und weniger Risiken durch Komplikationen oder Nachwirkungen. Mehr als 4.500 solcher Roboter sind heute im Einsatz, davon 125 in Frankreich5. An der Spitze dieser ganz besonderen Revolution steht das kalifornische Start-up Intuitive Technology mit mehr als 2.750 Patenten und einer Marktkapitalisierung von rund 65 Milliarden Dollar.

Auch die Telemedizin verzeichnet große Fortschritte, die Bereiche B2B (Teleradiologie, Telepathologie, Telekardiologie usw.) und B2C (Fernsprechstunden) könnten bis 2026 ein Volumen von 27 Milliarden Euro erreichen.6 Beispiel LabPad: Das Produkt von Avalun7 ist als Labor im Taschenformat konzipiert und ermöglicht biologische Tests entweder zu Hause, in einem Gesundheitszentrum oder einer Praxis.
Für den Test reicht ein einziger Tropfen Blut, die Ergebnisse sind praktisch sofort verfügbar. In Verbindung mit Testlabors und medizinischem Fachpersonal ermöglicht LabPad bei Bedarf eine schnelle Anpassung der Behandlung und eine genauere Abstimmung auf den Patienten. Dank künstlicher Intelligenz lassen sich gleichzeitig Zusammenhänge identifizieren, die Datenmengen sind praktisch unbegrenzt. Insbesondere die Bereiche Radiologie und Kardiologie bieten enormes Potenzial für die Suche nach Korrelationen, die die Identifikation pharmazeutischer Moleküle sowie die Diagnostik und Genomik erleichtern. Die Google-Tochter Verily kann bereits heute anhand von Fotos der Netzhaut im Auge des Patienten zuverlässig Herz-Kreislauf-Untersuchungen durchführen.

Ein Beitrag zur medizinischen Revolution

Diese Fortschritte sind nicht nur Ausdruck der Innovationsoffenheit wichtiger Labors, sondern auch das Ergebnis von Kooperationen mit ausgewählten Partnern. „Auch wenn jede Organisation eigene Ziele verfolgt, scheint es doch ein vorherrschendes Modell zu geben“, so Alexandre Templier8, CEO des Beratungsunternehmens Quinten. „Alle nutzen GAFA“, erläutert Templier und meint damit Google, Amazon, Facebook und Apple. Innerhalb weniger Monate haben vier Labors (Sanofi, Novartis, Pfizer und Otsuka) offizielle Partnerschaftsverträge mit Verily unterschrieben. Apple entwickelt seinerseits Lösungen, um medizinische Daten (Analysen, Scans, Rezepte usw.) zu zentralisieren und in die Verantwortung des Patienten zu übergeben, damit sie für medizinische Zwecke genutzt werden können. Nach Schätzungen der Analysten von Morgan Stanley wird Apple im Jahr 2027 90 Milliarden Dollar mit Gesundheitsleistungen verdienen9. Amazon will die Kosten des Gesundheitssystems senken und testet Konzepte im Rahmen eines Joint-Ventures mit JP Morgan und Berkshire Hathaway an den eigenen Mitarbeitern.

Google, Amazon, Facebook und Apple machen Daten nutzbar und eröffnen so die Möglichkeit individueller Behandlungen, die genau auf die biologischen und genetischen Merkmale des Patienten abgestimmt sind. Dabei werden auch solche Faktoren berücksichtigt, die die Entwicklung einer Krankheit und die Wirksamkeit ihrer Behandlung beeinflussen könnten. Diese wichtige Entwicklung erfordert allerdings größtmöglichen Datenschutz. Ist die Vertraulichkeit und Sicherheit sensibler Gesundheitsdaten nicht garantiert, ist ihr Einsatz unvorstellbar. „Wir müssen dafür sorgen, dass dieses prometheische Versprechen nicht zu einer merkantilen Ausbeutung von Gesundheitsdaten führt. Nationalstaaten sind nicht die Eigentümer dieser Daten, sie müssen jedoch ihre Sicherheit garantieren“, warnt Alexandre Templier.

Die französische Regierung will mit Microsoft zusammenarbeiten, um Gesundheitsdaten auf ihrem Health Data Hub (HDH)10 zu speichern. Experten für Gesundheits- und medizinische IT haben die Entscheidung für eine privatwirtschaftliche Organisation kritisiert und verweisen darauf, dass die Informationen aus Krankenhäusern, Apotheken und gemeinsam genutzten Krankenakten stammen11. „Die Daten sollen auf Microsoft Azure gespeichert werden, der öffentlichen Cloud des amerikanischen Software-Riesen. Besonders diese Entscheidung kritisieren wir“, so die Gruppe in einer Kolumne. „Zudem wird die HDH als zentralisierte Cloud entwickelt, die Folgen eines Diebstahls durch Hacker wären daher noch gravierender.“ Die Experten fordern die Entwicklung von selbstverwaltenden Cloud-Speichern. Entscheidend sei dabei die Kontrolle über die verwendete Technologie und die Verhinderung einer Privatisierung des öffentlichen Gesundheitswesens. Derartige Einschätzungen unterstreichen eine große Hürde für die weitere Entwicklung: Wir müssen einen Rahmen für wegweisende medizinische Innovationen schaffen, ohne dabei neue Risiken mit möglicherweise verheerenden Folgen einzugehen.

Quellen:
1. Digital Health Market: Global Industry Trends, Share, Size, Growth, Opportunity and Forecast 2019-2024
2. Globaler digitaler Gesundheitsmarkt, Aufschlüsselung nach Segmenten (2015 bis 2020)
3. https://www.lesechos.fr/idees-debats/cercle/la-medecine-face-aux-nouvelles-technologies-130590
4. Quelle: Clefs CEA n°67, Dezember 2018
5. https://www.lefigaro.fr/societes/2018/10/11/20005-20181011ARTFIG00080-da-vinci-le-robot-chirurgical-qui-vaut-65milliards-de-dollars.php
6. https://www.linkedin.com/pulse/sant%C3%A9-digitale-quelles-tendances-en-2020-denise-silber/?trk=related_article_%20Sant%C3%A9%20Digitale%20%3A%20quelles%20tendances%20en%202020%20%3F_article-card_title
7. https://www.avalun.com/fr/
8. https://www.lemonde.fr/idees/article/2019/11/26/sante-et-numerique-sans-les-gafa-point-d-innovation-cet-axiome-doit-etrediscute_6020517_3232.html
9. https://www.lesechos.fr/idees-debats/editos-analyses/la-sante-nouveau-terrain-de-jeu-des-gafa-1026541
10. https://solidarites-sante.gouv.fr/actualites/presse/communiques-de-presse/article/creation-officielle-du-health-data-hub
11. https://www.lemonde.fr/idees/article/2019/12/10/l-exploitation-de-donnees-de-sante-sur-une-plate-forme-de-microsoft-expose-a-des-risques-multiples_6022274_3232.html